Konzert vom 1. September 2012, 20.00 Uhr, Rondell Kantonsschule Wohlen
Kammerorchester 65
Klara Bosshart-Schwaller, Haldengutweg 11, 5610 Wohlen
Aus der Neuen Welt
Hinter der Einladung des Konzertfonds Wohlen ins Rondell der Kanti versteckte sich eine Entführung in eine neue Welt. Das Kammerorchester 65 unter der Leitung von Alexander Clerc spielte auf. Und wie es spielte! Einfach mitreissend!
In der Musik ist die Verbindung von Europa und Amerika immer wieder faszinierend. Das zeigt sich schon beim Werk des Aarauer Komponisten Ernst Widmer, der nach Brasilien auswanderte. Es ist eine Sinfonia, klein, aber oho. Geheimnisvoll ist der Anfang. Markige Rhythmen begleiten. Auffallend ist das Wechselspiel vom vollen Orchester zu Instrumentengruppen. Die Streicher legen einen festen Klangteppich hin und dazu bringen die Blasinstrumente federleichte Melodiebögen. Lange, getragene Töne wechseln mit flatterhaften Einfällen von Querflöte und Klarinette. Perkussionsinstrument unterstreichen das rhythmische Element auf vielfältige Art und Weise. Genussvoll spielt der Komponist mit tiefen Schlägen, sowohl mit der Bassgeige wie mit der grossen Trommel. Hin und wieder schnarrt die Rassel dazu. Beim Zuhören tauchen Klänge aus dem „Feuervogel“ von Strawinsky auf. Das Ganze ist ein Schmelztiegel von Wohlklang und Unruhe, Ankommen und Aufbruch.
Es folgt die Scaramouche-Suite des Franzosen Darius Milhaud. Auch dieser Komponist lebte mehrere Jahre in Brasilien. Schon im ersten Takt ist das Saxophon als Soloinstrument dabei. Ueli Angstmann spielt es virtuos. Grossartig wie er die einzelnen Töne in der Lautstärke dosiert. In jeden Ton, ob laut oder leise, legt er Spannung. Gradlinig sind die Motive, voll Spass und hin und wieder gespickt mit einem schrägen Ton. Und in dieser Schrägheit liegen einerseits Spannung und andererseits überraschend viel Charme. Sehr schön sind die Motive, vertrackt die Rhythmen und ruhig, ja fast einfach die Begleitung der Streicher. Witzig und doch dezent ist das Schlagzeug eingesetzt. Herrlich ist der Off Beat. Zwischendurch macht eine Querflöte dem Saxophon Konkurrenz. Originell ist auch die Kombination Piccolo und Saxophon. Das kleine Instrument hat es in sich! Und immer wieder bricht französische Luftigkeit wie ein Sonnenstrahl in diesen rasanten Wechsel von verschiedenen Motiven und Rhythmen. Da zeigt sich Milhaud als Meister.
Die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ von Antonin Dvorak folgt als nächstes. Dieser tschechische Komponist schrieb das Werk während eines längeren Aufenthaltes in New York. Die ersten Takte bringen schon Weite und Offenheit, einen Brückenschlag von Europa zu Amerika. Geheimnisvoll ist am Anfang die Stimmung, ja scheinbar archaisch die Harmonien. Doch dann purzeln die vielen Melodien wie Perlen auf den Klangteppich der Streicher, kullern weiter, verändern sich. Schöne Moll-Motive erzählen von Heimweh und gleichzeitig von Sehnsucht nach Neuem. In den grossartig aufgebauten Crescendos liegt auch Schwermut. Wie Wolken ziehen die Melodien über die osteuropäischen Ebenen, ergeben ein Spiel mit Licht und Schatten, suchen das Weite. Denn Neues liegt in der Luft. Da ist eine Wellenbewegung von Steigerung in der Dynamik und leiser Zurückhaltung. Schmetternde Hornklänge in Fortissimo wechseln mit davon eilenden Streichermotiven. Dann kommt das Herzstück im zweiten Satz. Das Englischhorn spielt eine vertraute Melodie, mit einer Zartheit ohnegleichen, innig wie ein Gebet. Und das begleitende Piano der Streicher grenzt an Intimität. Mucksmäuschenstill lauschen Zuhörerinnen und Zuhörer. Immer wieder zeigt sich in diesem Werk der grosse Bogen von Dvoraks Heimat und der Neuen Welt. Ein Bogen, der Gegensätze aufzulösen scheint, und gleichzeitig mit subtilen Einfällen der Bläser so viel Spannung bringt und Neugierde weckt. Überraschende Pausen im Melodiefluss bringen eine unbeschreibliche Weite und Grosszügigkeit. Der Komponist spielt mit klaren Motiven, verändert sie und arrangiert sie neu. Dazu schlägt ein kraftvoller, deutlicher Rhythmus. Das ergibt einen lebhaften Drive zu Neuem. Der junge Dirigent Alexander Clerc führt sein Orchester hervorragend. Mit sicherer Hand, Feingefühl und Leidenschaft baut er Spannungen auf und ab. Einfach wunderschön, wie er mit einer grosszügigen Geste die Wellenbewegungen glättet, Ruhe einbringt. Und schon bringen Triolen neuen Schwung. Die Posaunen strahlen. Pizzicato–Bass, leise flirrende Streicher und Holzbläser bringen Schalk. Der leitet über zum Schluss. Markante Rhythmen kommen dazu. Das grossartig spielende Orchester gibt alles. Eine fulminante Steigerung führt zum Finale in Fortissimo. Doch die letzten Töne sind unerwartet in einem berührenden Piano.
Das Publikum war vom Hörgenuss überwältigt. Der Applaus wollte nicht enden. Die vielen wunderschönen Melodien werden noch bei vielen weitertönen. Musikalische Perlen gehen nicht vergessen.